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Ein Beitrag von Prof. Dr. Rolf Bertram

  1. Vorab ein paar Fakten, die bei amtlichen Experten unzureichend bekannt sind oder zurückgehalten werden:

- Jede 'Freisetzung' von Radioaktivität beeinträchtigt die biologische Vielfalt und führt zu einem nicht kalkulierbaren Risiko für alle Zeiten.

- Die in den Verordnungen gewählten DOSISKOEFFIZIENTEN sind nur ein grobes Maß der tatsächlichen FOLGEWIRKUNGEN.

- Die amtlichen Grenz- und Richtwerte (z. B. Grenzwerte) beruhen auf unrealistischen Annahmen (keine dieser Annahmen berücksichtigen die tatsächliche Situation, z. B. nicht messbare Organ- und Teilkörperdosis, Einfluss auf teilungsfähige Zellen (Basalzellen).

  1. Eine Unterscheidung der Dosen auf den Organismus durch Inhalation, Ingestion, und Permeation ist bei unterschiedlicher räumlicher und zeitlicher Zufuhr der Aktivität völlig unzureichend. Eine Kontamination einzelner Personen ist nur über aufwendige wiederholte Inkorporationsmessungen durch Blut und Ausscheidung abschätzbar. Die effektive Kontamination - also die spezifische Kontamination - eines Körperteils oder eines Organteils (gemessen etwa in mSv) ist nicht möglich. Die bisher vorliegenden Rechenmodelle sind nur für große Kohorten, aber nicht für den Einzelfall verwendbar.

Die Verwendung der Begriffe 'schwachaktiv', 'mittelaktiv', 'hochaktiv' sind irreführend, genauso wie der Begriff 'Grenzwert'. Sie dienen der juristischen und politischen Rechtfertigung, wissenschaftlich sind sie nichtssagend und zur Einschätzung von Strahlenschäden unbrauchbar.

  1. Nun zur 'Freimesserei'

Es ist nicht möglich, durch chemische oder technische Verfahren freigesetzte Radioaktivität zu vermindern oder zu vernichten. Durch den Abriss findet eine nicht vertretbare Zunahme der Umweltradioaktivität statt. Denn durch das anfallende zerkleinerte, gereinigte und geschredderte Stückgut und die damit verursachte Oberflächenvergrößerung wird die eingeschlossene Radioaktivität verstärkt freigesetzt und findet sich wieder im Spülwasser, im Schleifstaub und in den abgelagerten Bruchstücken.

95% des beim Rückbau anfallenden Atommülls werden 'freigemessen'.

Atommüll ist nicht gleich Atommüll. Art und radiologische Auswirkungen sind extrem unterschiedlich. Bemühungen, ein für alle Arten gleichermaßen geeignetes Lagerungs- oder Deponiekonzept zu entwickeln, stoßen auf unüberwindbare Schwierigkeiten.

Die bisher vorliegenden Betrachtungen berücksichtigen z.B. nicht, dass Radionuklide zusammen mit anderen nicht-radioaktiven, z. T. auch toxischen Problemstoffen - in der Regel Füllstoffe oder Behältermaterialien - vermischt und eng benachbart deponiert werden. Zwischen diesen Stoffen finden durch Kontakt unvermeidbar  chemische und strahlenchemische Prozesse statt, in deren Folge neue Problemstoffe (nicht nur als Gase) in großer Vielfalt entstehen. Eingelagert liegt also kein ruhendes sondern ein stofflich und zeitlich hochdynamisches System vor. Bislang gibt es keine Modelle, die diesem Sachverhalt Rechnung tragen.

  1. Durch Wind, Wetter und klimatische  Veränderungen ist eine Ausbreitung der von der Ablagerung ausgehenden Radioaktivität unvermeidbar. Die Ausbreitung erfolgt - in der Atmosphäre, über die Nahrungskette, über Sicker- und Grundwasser und durch Verschleppung,z.B. Umlagerung (Ortswechsel).

Völlig vernachlässigt wird die Verteilung der Radioaktivität durch Feinstaub und Ultrafeinstaub in der Atmosphäre. Radionuklide haften an den Feinstaubpartikeln und bilden RADIOAKTIVE AEROSOLE und werden als solche über weite Strecken (zig km) verteilt.

Ein besonders drastisches Beispiel für (amtliche) Fehleinschätzung: Die genetische Strahlenbelastung durch von Atomenergie erzeugtes C14 und Tritium und die große Wirksamkeit zum Auslösen von biologischen Schäden (Organbestrahlung) ist seit über 50 Jahren bekannt. Tritium (H-3, Halbwertzeit 12,3 Jahre) und Radiokohlenstoff (C-14, Halbwertzeit 5700 Jahre). Beide sind Betastrahler geringer Reichweite und gehören nach der üblichen Einteilung in die Gruppe mit 'niedriger Radiotoxizität'. Diese irreführende Bezeichnung hat offensichtlich dazu geführt, dass diese Betastrahler bei der Freimessungsproblematik überhaupt keine Rolle spielen. Da  Beta- und Alphastrahler durch gewöhnliche tragbare Geigerzähler gar nicht erfassbar sind, taucht dieser Anteil in den amtlichen Kontrollmessungen auch nicht auf.

Bei Freisetzung und Inkorporation über Luft, Wasser und Nahrungsmittel sind deren Auswirkungen verheerend, da beide als Wasserstoff bzw. Kohlenstoff zu den wesentlichen Bausteinen lebender Materie gehören: Wenn Alpha- oder Betastrahler in den Körper gelangen (inkorporiert werden) beispielsweise durch Inhalation in die Lunge oder durch Verschlucken kontaminierter Nahrungsmittel ist der Schaden besonders groß. Wie die nicht radioaktiven Isotope (H-1, C-12) werden sie Teil des organischen Gewebes und können so den Zellen - Stoffwechsel zerstören, mindestens aber verändern. Die cancerogenen und mutagenen Folgen sind ebenfalls lange bekannt, werden aber in den amtlichen Verordnungen (Strahlenschutzverordnung) bis zur Stunde nicht ausreichend berücksichtigt.

  1. Auf der Stecke bleibt der Strahlenschutz. Offensichtlich spielt auch hier ein ökonomisch dominierter Schadensvergleich die entscheidende Rolle. Tödliche und krankmachende Gesundheitsschäden werden gegen kommerzielle Einsparungen gestellt. Das ist der übliche Weg. Um die Auswirkungen zwischen kurzfristiger oder dauernder Inkorporation zu berücksichtigen, spielte vor 30 Jahren im Strahlenschutz die FOLGEÄQUIVALENTSDOSIS eine Rolle, inzwischen ist davon keine Rede mehr. Eine Ermittlung dieses Eingriffswertes wäre gerade in der Freimessungsproblematik angebracht. Eine Antwort auf die Frage, warum das nicht gemacht wird, liegt nahe:

Vermutlich wäre das das Ende des Abbaus der AKW und das Ende der Planung für die Entsorgung und Aufarbeitung von Atommüll.