Drucken

Die Abholzung des Andershofer Wäldchens und die Begleitumstände dazu:

 Ein Investor macht Kleinholz

... und die Stadtverwaltung hilft ihm dabei mit "grünen" Argumenten

 Wer hätte nicht die Debatte um den Verkauf des Andershofer Wäldchens mitbekommen? Zwar steht das Wäldchen noch, aber es ist wohl ohne Wenn und Aber dem Untergang geweiht. Dann kreischen die Sägen, Holz splittert, Baumstämme fallen krachend zu Boden. Hier macht ein Investor Kleinholz - und füllt sich die Taschen.

 Ein modernes Sittengemälde

Fred Muhsal heißt er, hat schon viele schöne Stellen mit Beton verziert und wird hinsichtlich der Rodung des Andershofer Wäldchens freundlich unterstützt von Stralsunds Oberbürgermeister Dr. Alexander Badrow (CDU) und M-V's Minister für Landwirtschaft und Umwelt, Dr. Till Backhaus (SPD). Unter anderem soll ein Supermarkt mit Parkplatz entstehen. Eine interessante Arabeske auf diesem modernen Sittengemälde ist die Tatsache, dass die Frau von Oberbürgermeister Dr. Badrow mit dem Investor Muhsal geschäftlich verbandelt ist und auf dem abgeholzten Gelände ein Seniorenheim bauen möchte - als habe Stralsund nicht bereits genug davon. Die LINKE stimmte in der Bürgerschaft gegen das Projekt, doch das Kapital brach sich Bahn.

 "Eingriffsausgleichsregelung"

Wie schön ist es da, mit Förster Cornell Kuithan vom Forstamt Rügen im Jeep über die Plattenwege der Insel Ummanz zu brausen und sich an der dortigen Natur zu erfreuen. Förster Kuithan erzählt, dass die Hansestadt Stralsund hier auf Ummanz ihre Ausgleichsflächen betreibt, die er jahrelang betreut hat. Maßnahmen wie die Abholzung des Andershofer Wäldchens sind nämlich an Ersatzpflanzungen gebunden. Das Verfahren nennt sich "Eingriffsausgleichsregelung" und ist, wie der sperrige Name vermuten lässt, ein komplizierter Prozess, der trotzdem seine Hintertürchen kennt. Schon lange bevor die Rede davon war, das Andershofer Wäldchen zu versilbern, hat die Stadtverwaltung mit Ausgleichspflanzungen auf Ummanz begonnen, um im Falle eines Falles entsprechende Umweltpunkte vorweisen zu können. Diese Ausgleichspflanzungen sind so großzügig dimensioniert, dass sie noch für weitere Rodungen auf Stadtgebiet herhalten können. Man plant das, was man "Stadtentwicklung" nennt, von langer Hand im Voraus. Ob die Stadt von dieser Art "Entwicklung" lebenswerter wird, darf hinterfragt werden.

 Feigenblättchen

Auf der Fahrt mit Förster Kuithan sieht man die Setzlinge. Hier wachsen sozusagen die Feigenblättchen für die "Stadtentwicklung". Teils stehen da Erlen von Armesdicke auf einer Moorfläche, teils ragen daumesdicke Bäumchen weithin aus dem Grasland (Bild 1), von dem Förster Kuithan sagt, es sei früher biologisch tot gewesen wie ein Golfrasen oder eine Mais-Monokultur.

 Also alles in Butter? Nein, gar nichts in Butter, meint Finn Viehberg vom NABU. Zwar werden bei Aufforstungen neue Bäumchen üblicherweise im Abstand von ca. einem Meter gepflanzt (Bild 2), so auch auf Ummanz.  Später brauchen die gewachsenen Bäume jedoch mindestens zehn Meter Abstand, was bedeutet, dass etwa 90% der Setzlinge dieses Alter durch Ausholzen, Absterben oder Wildverbiss nicht erreichen werden. Trotzdem prahlt die Stadt mit einer hohen Zahl von Stecklingen.

 Für großflächige Waldmehrung ungeeignet

Eine ältere "Waldmehrungskarte" des Landesamtes für Umwelt, Naturschutz und Geologie gibt dem Osten der Insel Ummanz das Prädikat "für großflächige Waldmehrung ungeeignet". Genau dort befinden sich aber die Stralsunder Ausgleichsflächen!

 Und genau dort befinden sich ausgedehnte Moore, die durch "Meliorationsmaßnahmen" der DDR entwässert wurden. Georg Nikelski von der Ostseestiftung hält eine Aufforstung auf entwässerten Moorflächen für massiv klimaschädlich, denn trocken gelegte Moore gasen CO2 aus. Wenn man sie mit Bäumen bepflanzt, geht durch den Wasserbedarf noch mehr Feuchtigkeit verloren, so dass sich der Ausstoß von Klimagasen erhöht. Hinter den Stralsunder Anpflanzungen erscheint demnach ein weiteres, dickes Fragezeichen. Man hat zwar neuerdings Maßnahmen zur Wiederbefeuchtung eingeleitet. Manche Meliorationsgräben wurden zugeschüttet, ein anderer durch eine Steinschwelle aufgestaut (Bild 3), um den Wasserabfluss zu bremsen. Angesichts des Klimawandels ist es aber fraglich, ob das ausreicht.

 Viele offene Fragen

Bei den Umweltverbänden bestehen ernsthafte Zweifel daran. Man befürwortet daher einen Durchstich des Hauptdeiches, um die fraglichen Flächen bei Hochwasser gezielt überfluten zu lassen. Das Umweltministerium denkt in die gleiche Richtung. Stralsunds Ausgleichspflanzungen auf solchen Flächen wären verloren, und mit ihnen die Steuergelder, die dafür aufgebracht wurden - genauso wie die schönen Märchen vom verlustfreien Abholzen des Andershofer Wäldchens.

 Es wäre im Einzelnen also zu klären

 

- warum die Stadt mit hohen Zahlen von Stecklingen prahlt, obwohl klar ist, dass die meisten

  von ihnen nicht alt werden

- warum auf die Aussagen der "Waldmehrungskarte" des Landesamtes für Umwelt,

  Naturschutz und Geologie bei der Bepflanzung keine Rücksicht genommen wurde

- welcher Anteil der Ausgleichsflächen auf trocken gelegten Moorflächen vorgenommen

  wurde und in welchem Befeuchtungszustand sich diese jetzt befinden

- welcher Anteil der Ausgleichsflächen bei Deichöffnung von einer Überflutung betroffen

  wäre, z. B. weil er unter dem Meeresspiegel liegt.

 Steuergelder in den Sand gesetzt?

Schon jetzt kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass namhafte Beträge an Steuergeldern in den Sand gesetzt wurden. Sicher ist das nicht Förster Kuithans Schuld, der keine Entscheidungsbefugnis hatte. Doch selbst wenn diese Ausgleichspflanzungen die wahre ökologische Wonne wären: Was nützen die schönsten Bäume auf einer fernen Insel, wenn in der Stadt immer weniger davon stehen? In der Stadt, wo sie doch als grüne Lunge und Erholungsraum am dringendsten gebraucht werden? Aber wenn ein Herr Muhsal bauen will, stehen alle stramm und finden hilfreiche Argumente.

 Ein interessantes Narrativ

Um diesem Filz von Vetternwirtschaft die Krone aufzusetzen, hält sich hartnäckig ein Narrativ, dessen Wahrheitsgehalt keiner beweisen kann, das aber wunderbar in diese politische Landschaft passt: Die Hansestadt Stralsund besitzt auch im Nordwesten von Ummanz ein größeres Areal, und das könnte sie mit stattlichem Gewinn - vielleicht wieder unter Beteiligung eines rührigen Investors - in ein schickes Touristik-Ressort umwandeln. Da war es doch clever, die üppig dimensionierten Ausgleichspflanzungen im Osten der Insel anzulegen, denn sie könnten diesen Plänen für den Nordwesten sonst eines Tages im Wege stehen.

 All das wird mit Umweltargumenten schöngeredet. "Greenwashing" nennt man das auf Neudeutsch, wobei das noch zu harmlos klingt. Dass man den Bürgern blauen - besser gesagt: grünen Dunst vormacht, ist ärgerlich.

 

Klaus Kleinmann/ Stralsund/ Linke Brise

PS: Ich war mit Klaus unterwegs für diese Recherche und bestätige seine Aussagen. Der Raub an Lebensraum von Pflanzen und Tieren ist Raubbau an Lebensraum an uns selbst. Es gibt in Stralsund gute Ideen für Stadtbegrünung und Flächenumnutzungen. Doch die benötigen zur Umsetzung Zeit und Geld und sind auch langfristig nicht profitträchtig, sondern zeit- und kostenintensiv.... und nachhaltig. 

Suse/ Stralsund