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Im April diesen Jahres feiert das deutsche Reinheitsgebot sein 500 jähriges Jubiläum. Kein Gesetz wird in Deutschland so konsequent verteidigt und befolgt. Sicher, das deutsche Grundgesetz hat auch irgendwo seine Gültigkeit. Wie die Vergangenheit gezeigt hat, kann man beim Grundgesetz mal hier und da was ergänzen, streichen oder verbiegen. Bei der Auslegung unserer  Grundrechte sind wir Deutschen flexibel. Wenn es aber ums Grundnahrungsmittel Nummer Eins geht, da hört der Spaß auf. Malz, Hopfen, Hefe und Wasser, was anderes hat im Bier nichts zu suchen.
 
Erdöl, PCB, Quecksilber und Schwermetalle im Trinkwasser oder im Salat, das können wir Deutschen ab. Wir verkraften sogar Mineralöle in Schoko-Osterhasen und Pferdefleisch in unserem Nationalgericht Lasagne. Auch Spuren von Glyphosat  in der Muttermilch. Das jetzt aber Glyphosatrückstände im Bier nachgewiesen wurden, das nehmen wir  Deutschen persönlich. 
 
Unkrautvernichtungsmittel im Bier? Ja, Sie haben richtig gelesen. Das Umweltinstitut München e.V. hat 14 der beliebtesten Biersorten auf das Pestizid Glyphosat prüfen lassen. Dabei kam heraus, dass jedes der getesteten Biere Rückstände des Pestizids enthielt. Der höchste Wert lag fast 300-mal  über dem Grenzwert für Trinkwasser.1 Innerhalb weniger Tage beteiligten sich mehr als 17.000 Menschen an der Online-Aktion „Glyphosat raus aus dem Bier“. Die Bundesrepublik war in ihren Grundfesten erschüttert. Sogar der Bundestag befasste sich mit dem Thema. Was zahlreiche Studien und Berichte über die krebserregende Wahrscheinlichkeit von Glyphosat, einem der wichtigsten Wirkstoffe des amerikanischen Pflanzenschutzmittel RoundUp, aus dem Hause Monsanto, nicht geschafft haben, schafft der Angriff auf unser Bier. Es sieht ganz so aus, dass Monsanto nun auch ins Biergeschäft einsteigt. 
 
Wir können uns aber wieder beruhigen. Unser, aus dem Bierland Bayern stammender Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) erklärte im ARD-Morgenmagazin, man müsse schon 1000 Liter Bier am Tag trinken, damit die gefundenen Glyphosat-Werte gesundheitsschädlich seien. Dabei berief er sich auf eine Studie des ihm unterstehenden Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR). Demnach müssten wir täglich 1000 Liter des belasteten Bieres trinken, um einen Schaden für unsere Gesundheit befürchten zu müssen. Dazu Minister Schmidt: „Das schaffen selbst wir Bayern nicht.“2
 
Gut, 1000 Liter traue ich auch einem CSU-Politker nicht zu, aber ein paar Maß scheinen schon zu reichen, um bei manchen Menschen Realitätsverluste diagnostizieren zu können: Wenn der Wert der Glyphosatbelastungen zum Teil um das 300-fache höher liegt, als der Grenzwert bei Trinkwasser, kann ich die Logik hinter der Aussage, man müsse täglich 1000 Liter Bier trinken, damit Gesundheitsgefährdungen nicht ausgeschlossen werden können, nicht folgen. Das würde bedeuten, dass die Experten bei der Festlegung des Grenzwertes für Trinkwasser davon ausgegangen sind, dass wir Deutsche täglich 300.000 Liter Trinkwasser zu uns nehmen. Dieser Annahme möchte ich jetzt nicht weiter nachgehen. 
 
Ich möchte jetzt auch nicht weiter hinterfragen, warum Christian Schmidt nichts davon erwähnt, dass Spuren von Glyphosat auch in anderen Lebensmitteln, wie zum Beispiel in unserem Brot, nachgewiesen werden konnten. Wahrscheinlich wusste er es einfach nicht, als Fachminister kann man ja auch nicht alles wissen. Die Studie des BUND, in der nachgewiesen wurde, dass Spuren von Glyphosat auch im menschlichen Urin enthalten sind, war auch eine streng geheime Verschlusssache. Nur zugänglich für realitätsferne Umweltaktivisten und Verschwörungstheoretiker. 
 
Das BfR geht sogar noch einen Schritt weiter. Nach ihrer Einschätzung ist Glyphosat auch nicht krebserregend. Im Zusammenhang mit dem erneuten Genehmigungsverfahren für den Wirkstoff Glyphosat, unter Federführung der EU-Kommission, will das BfR alle verfügbaren Studien wissenschaftlich fundiert geprüft und bewertet haben. Berücksichtigt wurden angeblich auch die Studien der Internationalen Agentur für Krebsforschung. In seiner Hintergrundinformation Nr. 033/2015 vom 22. September 2015 lässt das BfR verlautbaren, […] dass diese Studien nur begrenzte Hinweise auf die Karzinogenität ( Ein Karzinogen ist eine Substanz, ein Organismus oder eine Strahlung, die Krebs erzeugen oder die Krebserzeugung fördern kann – Anm.d.Verf.) von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln (Gemischen aus Wirkstoff und Beistoffen) erbracht haben […]. 3 Würde das BfR oder das Landwirtschaftsministerium zu einer anderen, realistischeren Einschätzung kommen, müssten sie feststellen, dass es für krebserregende Stoffe keine Untergrenze gibt. Eine Position, die sie selber vertreten.4
 
Aber wie kommt das Glyphosat ins Bier? Das kostengünstige Glyphosat wird weltweit in der Landwirtschaft benutzt um Felder von Unkräutern zu befreien. Das Glyphosat reichert sich in den Samen der Nutzpflanzen an. Besonders bei wiederholter und später Glyphosatanwendung können glyphosatresistente Pflanzen hohe Rückstandswerte aufweisen. In der EU gilt für Glyphosat in Gerste ein zulässiger Rückstandswert von 20 mg/kg. Dieser hohe Wert ist in der EU nur für wenige andere Produkte wie Sojabohnen, Hafer und Sorghum zulässig. Für Weizen, Roggen, Raps, Lein-und Baumwollsamen liegt er bei 10 mg/kg, für die meisten anderen Produkte bei 0,1 mg/kg.5 
 
Da passt es, dass sich die Experten in der EU erst einmal nicht über eine Verlängerung der Zulassung für Glyphosat einigen konnten. Am 8. März wurde die Entscheidung auf unbestimmte Zeit verschoben. Ich kann jetzt nicht mit Sicherheit sagen, ob  ein Zusammenhang mit der am gleichen Tag erhobenen Forderung des österreichischen Brauereiverbandes nach einem europaweiten Gyphosat-Verbot, besteht. 
 
Am Dienstag, den 22. März kam dann auch endlich die erlösende Nachricht für alle Biertrinker: Mit großer Mehrheit hat der EU-Umweltausschuss dafür gestimmt, dass die Zulassung für Glyphosat nicht verlängert wird. Weiter sprach sich der Umweltausschuss dafür aus, die EU-Kommission müsse eine unabhängige Bewertung von Glyphosat sicherstellen.6 Ich hoffe, dass die Mitglieder des Umweltausschuss, bestimmt allesamt Biertrinker*innen, das Reinheitsgebot auch gegen TTIP und CETA verteidigen werden. Bis dahin genehmige ich mir jetzt erstmal ein Glas Rotwein...
 
Frank Binder